DIENSTAG, 23.50 UHR

Hallo, Maria«, sagte Schmidt, nachdem er sich seiner Kleidung entledigt und eine Sporthose und eine Kapuzenjacke übergestreift hatte. Duschen würde er erst nach den beiden Telefonaten, unmittelbar bevor er ins Bett ging. Aber ihm war nicht nach Schlafen, er war weder müde noch erschöpft, sondern seltsam aufgedreht, obwohl er soeben etwas getan hatte, von dem er all die Jahre hinweg überzeugt gewesen war, es niemals zu tun oder tun zu müssen. Normalerweise tötete er schnell und sauber. »Senhor Schmidt, so spät rufst du noch an«, sagte Maria, doch er vernahm die Freude in ihrer Stimme.

»Bei dir ist es doch erst kurz vor elf. Wie war dein Tag, Liebling?«

»Sehr anstrengend, die Handwerker hatten ein paar Probleme, aber sie sagen, sie werden diese Woche noch fertig mit dem Kamin. Du fehlst mir, Senhor Schmidt. Das Bett ist so leer ohne dich. Wann kommst du zurück?« »Du fehlst mir auch, aber ich habe noch viel zu tun hier, ich bin sicher noch bis Mitte nächster Woche beschäftigt. Bitte sei nicht traurig, ich kann doch nichts dafür. Ich liebe dich, Maria, und denke den ganzen Tag nur an dich.«

»Lügner«, antwortete sie lachend, »wenn du arbeitest, wie kannst du dann an mich denken?« »Ich kann es, weil ich mir immer vorstelle, dass du neben mir sitzt und mir bei der Arbeit zusiehst. Ich wünschte, du wärst hier, und das ist nicht gelogen.« »Soll ich kommen? Ich könnte die Handwerker abbestellen und ihnen sagen, dass sie erst nächste Woche weitermachen sollen. Ich könnte morgen das Flugzeug nehmen und ...«

»Maria, das ist doch Unsinn. Ich will nicht nach Hause kommen und ein großes Loch in der Wand vorfinden. Wenn ich zurückkomme, will ich mit dir vor dem fertigen Kamin sitzen und ...« »Und was?«

»Alles mit dir machen, was uns Freude bereitet. Es wird auch garantiert das letzte Mal sein, dass ich so lange von zu Hause weg bin. Schau, wir telefonieren jeden Tag, ich sehe mir jeden Tag dein Foto an, du bist immer bei mir.«

»Senhor Schmidt, du machst immer die schönsten Liebeserklärungen. Deshalb liebe ich dich so sehr. Was wirst du jetzt tun?«

»Duschen und ins Bett gehen, ich hatte einen langen und anstrengenden Tag.«

»Ich hoffe, du gehst allein ins Bett«, sagte Maria lachend, doch er wusste, dass hinter diesem Lachen eine gehörige Portion Ernst steckte.

»Ich muss dich enttäuschen, ich gehe nicht allein ins Bett ...«

»Senhor Schmidt, du machst mich sehr wütend und traurig. Wer ist bei dir?«

»Du. Nur du allein. Ich gehe in Gedanken mit dir ins Bett, Maria. In Gedanken umarme ich dich und schlafe mit dir ein und wache morgen früh mit dir auf. Es kann niemals eine andere Frau neben dir geben.« »Es wird auch nie einen anderen Mann neben dir geben, Senhor Schmidt. Wann rufst du mich wieder an?« »Morgen früh um acht Uhr deiner Zeit. Natürlich auch wieder morgen Abend. Und kümmere dich darum, dass die Handwerker alles richtig machen.« »Senhor Schmidt, für wen hältst du mich? Wenn jemand darauf aufpasst, dann ich. Wir werden den schönsten Kamin von ganz Lissabon haben, das verspreche ich dir. Wenn du nach Hause kommst, werden wir uns vor dem Kamin lieben, bis wir total erschöpft sind.« »Maria, Maria, ich hoffe, wir werden nicht abgehört«, antwortete Schmidt lachend.

»Warum? Es ist doch nicht verboten, sich vor dem Kamin zu lieben. Außerdem verstehen nicht so viele Deutsche Portugiesisch, oder?«

»Nein, natürlich nicht. Ich freue mich auf zu Hause, ich freue mich darauf, dich zu umarmen und deinen Duft einzuatmen. Ich rieche dein Haar sogar durch das Telefon.« »Senhor Schmidt, wir sollten jetzt besser aufhören, sonst komme ich doch schon morgen zu dir. Geh duschen und dann schlafen. Träum von mir, so wie ich von dir träume. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Mehr als meine Familie.«

»Ich dich auch. So, ich zähle gleich bis drei, dann legen wir beide gleichzeitig auf, okay?«

»Okay. Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich. Eins, zwei, drei.«

Hans Schmidt drückte auf Aus und blickte einen Augenblick versonnen an die Wand. Ich werde mich aus dem Geschäft verabschieden und danach nie wieder eine Waffe anrühren. Maria, was hast du bloß mit mir gemacht? Oder ist es nur, weil ich älter werde? Oder ist es, weil ich nach fünfundzwanzig Jahren endlich kapiert habe, dass ich von allen nur benutzt wurde, außer von Sarah? Ich habe diesem Leben zugestimmt, ich habe Menschen für viel Geld getötet, und bei fast allen war es gerechtfertigt. Nur Julianne Cummings' Tod war ungerecht und ein Verrat an unserer Freundschaft, dachte er bitter und auch traurig, obwohl das schreckliche Ereignis bereits zehn Jahre zurücklag. Auch der Tod des unbekannten Mädchens, das ich mit Schumann zusammen ermordet habe - ich hätte sie nicht töten dürfen, aber ich war noch jung und unerfahren und habe daraus gelernt.

Schmidt schloss kurz die Augen, seine Miene verfinsterte sich für einen Moment, er schüttelte den Kopf. Nein, ich werde und darf nichts bereuen, es würde mich zerstören. Was ich getan habe, ist nicht mehr rückgängig zu machen, es ist nicht rückgängig zu machen, niemals! Ruht in Frieden, Julianne und du, unbekanntes Mädchen, ruht in Frieden.

Ich werde keine Zeit mehr mit Gedanken an die Vergangenheit verschwenden. Nur die Zukunft zählt. Nur die Zukunft. Und die Gegenwart, vor allem aber die kommenden Tage, in denen ich noch so viel zu tun habe. Er wählte eine andere Nummer und wartete, bis abgehoben wurde. Sie würden wieder verschlüsselt miteinander sprechen, für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass das Telefonat abgehört wurde, obwohl sie über eine sichere Leitung telefonierten. »Ja?«

»Ich bin's. Es ist leider sehr spät geworden, aber das hatte ich am Sonntag ja bereits angedeutet.« »Das macht nichts, ich hatte noch längst nicht vor, schlafen zu gehen. Hast du alles erledigt?« »Aber sicher doch.« »Wie war es gestern?« »Sehr unschön, gelinde ausgedrückt.« »Und heute?«

»Heute habe ich eine Quittung ausgestellt und dem Empfänger überreicht. Es hat ihm nicht gefallen, und ich bin sicher, dass er sich nie mehr davon erholen wird.« »Der Ärmste. Und sonst?«

»Sonst läuft alles bestens. Ich bin gut in der Zeit und guter Hoffnung, bis spätestens Mitte nächster Woche alles geschafft zu haben. Und bei dir?«

»Wie gehabt, das Leben plätschert so vor sich hin. Manchmal möchte ich einfach nur meine Koffer packen und abhauen. Komm mich doch mal besuchen.« »Das hatte ich ohnehin vor. Ich kann jedoch noch keinen Zeitpunkt nennen.«

»Ich weiß, du bist so beschäftigt, gib nur Obacht, dass du nicht einen Herzinfarkt erleidest, Männer in deinem Alter sind am gefährdetsten.«

»Ich bin kerngesund, ich war erst vor kurzem wieder beim Rundumcheck. Wie sieht's an der Front aus?«

»Keine Meldung, keine Aktivitäten.« »Sehr gut. Ich melde mich entweder morgen oder übermorgen wieder, es kommt auf die Gelegenheit an und wie viel ich tagsüber schaffe.«

»Nur keinen Stress, die Arbeit läuft dir nicht davon. Bis bald und danke.«

»Wofür denn? Dass ich dich ab und zu anrufe? Das ist doch selbstverständlich. Ich bin immer für dich da. Ab morgen ganz in deiner Nähe.« »Ich wünsche dir eine gute Nacht.« »Gleichfalls. Bis die Tage.«

Er legte auf und ging duschen, putzte die Zähne und absolvierte noch ein paar Übungen, bevor er sich ins Bett legte, einen Schluck Wasser aus der Flasche neben dem Bett trank und mit der Fernbedienung den Fernseher einschaltete.

Nichts von dem, was lief, gefiel ihm, er stand wieder auf und legte eine DVD ein - »Ein Fisch namens Wanda«. Er sah den Film zu Ende, doch diesmal war ihm nicht zum Lachen zumute. Die Aufträge der Vergangenheit waren relativ einfach zu erledigen gewesen. Hinter dem, was er jetzt tat, steckte allerdings kein Auftraggeber, sondern eine Absprache. Beide Parteien waren sich einig, dass sie sich nach Beendigung seiner Tätigkeit nur noch ein Mal treffen und danach nie wiedersehen würden. Das war seine Bedingung gewesen.

Er lag lange wach, dachte nach und ging mehrere Male die kommenden Tage durch, die vielleicht härtesten und gefährlichsten seines Lebens. Schon der kleinste Fehler konnte fatale Folgen haben. Doch er würde keinen Fehler begehen, Hans Schmidt hatte noch nie einen Fehler begangen.

Es war nach drei Uhr morgens, als er endlich einschlief,

und es war neun Uhr, als er aufwachte. Maria, schoss es ihm durch den Kopf, er nahm das Telefon und wählte. Maria schien neben dem Telefon gewartet zu haben und hob nach dem ersten Klingeln ab. Er freute sich, ihre Stimme zu hören.

 

Eisige Naehe
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